Demografischer Wandel – Treiber des Strukturwandels

Der demografische Wandel ist eine bestimmende Facette des Strukturwandels. Viele Kommunen – auch im Mitteldeutschen Revier – haben mit schrumpfenden Bevölkerungszahlen und Überalterung der Bevölkerung zu kämpfen. Dies ist eine ungünstige Ausgangslage für die Fachkräftesicherung einer Region. In der BiSMit-Veranstaltung „Kennzahlenvergleich – Regionales Bildungsmonitoring im Mitteldeutschen Revier“ im Juni 2023 war Dr. Florian Breitinger vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung zu Gast. In seinem Vortrag stellte er die demografische Entwicklung in Deutschland dar und sprach über Möglichkeiten der Kommunen, ihre Bevölkerungszahlen positiv zu beeinflussen. Im Folgenden werden die Kernaussagen des Vortrages zusammengefasst und um Daten zum Mitteldeutschen Revier ergänzt.

Dr. Florian Breitinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Er befasst sich in seiner Arbeit intensiv mit dem demografischen Wandel. Schwerpunkte sind dabei die Themen Alterung und Stadtplanung.

Demografische Situation in Deutschland und im Mitteldeutschen Revier

Die demografische Situation in Deutschland lässt sich anhand von drei Kennzahlen beschreiben: der Fertilität, der Mortalität und der Migration. Die Fertilität, also die Zahl der Geburten, ist oft eng mit politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen verknüpft. Bei der Entwicklung der Geburtenzahlen in Deutschland ist eine abweichende Entwicklung zwischen Ost- und Westdeutschland auffällig. So sanken die Geburten in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung stark. Erst im Jahr 2005 glichen sie sich denen in Westdeutschland wieder an. Um die Bevölkerungsentwicklung stabil zu halten, müssten durchschnittlich 2,1 Kinder pro Frau geboren werden. Dies ist seit den 1970er-Jahren nicht mehr gegeben. Die Betrachtung der Mortalität verdeutlicht, dass die Lebenserwartung deutschlandweit seit 1972 kontinuierlich steigt, und zwar zirka zwei Jahre pro Jahrzehnt. Mädchen, die im Jahr 2021 geboren sind, haben eine Lebenserwartung von durchschnittlich 83,4 Jahren, Jungen von 78,5 Jahren. Weniger Geburten führen zu einem negativen natürlichen Saldo, also zum Rückgang der Bevölkerungszahlen. In Kombination mit einer höheren Lebenserwartung führen weniger Geburten außerdem zur Überalterung der Bevölkerung.

Die Migration, also die Zuwanderung, lässt sich wie die Fertilität häufig auf politische und gesellschaftliche Ereignisse zurückführen. Die jüngsten Beispiele dafür sind seit 2015 Fluchtbewegungen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und der Ukraine. Die Zuwanderung konnte bislang den natürlichen Saldo ausgleichen, so dass die Bevölkerungszahl in Deutschland steigt. Migration wirkt sich insgesamt auch positiv auf die Altersstruktur der Bevölkerung aus, weil vor allem Personen im erwerbsfähigen Alter mit Kindern zuziehen. Mit Blick auf das Thema Bildung und Fachkräftesicherung ist die Integration eine der wichtigsten Aufgaben der kommenden Jahre.

Vergleicht man die gesamtdeutsche Demografie mit der im Mitteldeutschen Revier, fällt zunächst auf, dass die relative Bevölkerungsentwicklung des Reviers in den letzten Jahren positiv ist. Seit der Volkszählung durch den Zensus im Jahr 2011 wuchs die Bevölkerung bis 2020 um 40.000 Menschen auf etwas mehr als zwei Millionen. Allerdings ist das Mitteldeutsche Revier eine sehr heterogene Region, die große Unterschiede zwischen den Städten Leipzig und Halle (Saale) auf der einen Seite und den Landkreisen auf der anderen Seite aufweist. Die stabile Bevölkerungsentwicklung des Reviers ist auf die Städte Leipzig und Halle (Saale) zurückzuführen. Besonders dynamisch entwickelt sich die Stadt Leipzig. Dagegen zeigen sich in den Landkreisen die Spuren des demografischen Wandels deutlich. Je weiter die Kommunen von den beiden Städten entfernt liegen, desto größer sind die Bevölkerungsverluste.

 

Demografische Prognose für Deutschland und das Mitteldeutsche Revier

Bezüglich der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland gibt es regional spezifische Unterschiede. Als grob prognostizierte Trends für 2017 bis 2035 lassen sich drei Entwicklungen herausarbeiten:

Im Süd-Nord-Vergleich zeichnet sich ab, dass die Bevölkerung im Süden eher zu- und im Norden eher abnimmt. Noch deutlicher lässt sich diese Entwicklung im Vergleich von Ost und West erkennen. Während im Osten die Bevölkerung in weiten Teilen abnimmt, verzeichnet der Süden vor allem eine Bevölkerungszunahme. Betrachtet man städtische und ländliche Gebiete, so wachsen die Bevölkerungszahlen in Städten voraussichtlich mehr als in ländlichen Gebieten.

Eine ähnliche Tendenz lässt sich schon im Mitteldeutschen Revier beobachten. Vor allem die Stadt Leipzig erwartet einen Bevölkerungszuwachs, während die ländlichen Kommunen einer Bevölkerungsabnahme entgegensehen. Ab 2030 wird die Zahl der 10- bis 16-Jährigen, also der Fachkräfte von morgen, schrumpfen. Je weiter die Kommune von urbanen Zentren entfernt ist, desto stärker wird sie von diesem demografischen Trend betroffen sein.

Sinkende Bevölkerungszahlen lösen eine Abwärtsspirale aus. Durch sie gibt es eine abnehmende Nachfrage, die weniger Rentabilität für wirtschaftliche Unternehmen nach sich zieht. Dies führt zu schmalerem Angebot, einer schlechteren Versorgung und schlussendlich leidet die Attraktivität der Kommune. Dies begünstigt wiederrum Wegzug, also schrumpft die Bevölkerung. Die sich wechselseitig verstärkenden Problemlagen sind eng mit dem Thema Bildung verknüpft: Sinkende Bevölkerungszahlen in ländlichen Räumen haben oft Einsparungen in der Bildungsinfrastruktur und bei Bildungsangeboten zur Folge. Fehlende Bildungsinfrastruktur zieht jedoch Wegzug nach sich bzw. verhindert Zuzug. Dieser Entwicklung sollte gezielt entgegengesteuert werden.

 

Neue Landlust

Die Betrachtung der Wanderungsentwicklung der letzten Jahre zeigt eine neue Tendenz. Schaut man, aus welchen Gemeindetypen die Menschen innerhalb Deutschlands weg- und zuziehen, so fällt auf, dass bis zum Jahr 2015 der Zuzug vor allem in die Groß- und Mittelstädte erfolgte. Verstärkt durch die Corona-Pandemie lässt sich eine sogenannte Landlust erkennen. Kleine Kleinstädte und Landgemeinden erhalten höhere Wanderungsgewinne, die Groß- und Mittelstädte erleiden hingegen Verluste. Die Binnenwanderung zeigt, dass vor allem Familien mit Kindern und Personen aus Großstädten aufs Land ziehen. Bei der Einwanderung aus dem Ausland ziehen Menschen wiederum eher in deutsche Großstädte. Gründe für die neue Landlust lassen sich in schwierigen Verhältnissen auf dem Mietmarkt von Städten sowie in günstigeren Alternativen beim Hausbau in ländlichen Gemeinden finden. Aber auch die Digitalisierung und der damit einhergehende Wandel der Arbeitswelt spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle. Neue und flexible Arbeitsformen ermöglichen das Arbeiten von zu Hause und so die Entkopplung von Wohn- und Arbeitsort.

Die neue Landlust muss als Momentaufnahme verstanden werden. Voraussichtlich kann sie die prognostizierte Schrumpfung der Bevölkerungszahlen in ländlichen Räumen nicht stoppen. Aus diesem Grund ist eine frühzeitige Planung im Umgang mit der weiter sinkenden Bevölkerungszahl essenziell. Wichtig ist hierbei, Synergien zwischen Stadt und Land zu nutzen, denn beide Gemeindetypen haben ihre Stärken und Schwächen. So ist der Arbeitsmarkt in den Städten meist besser, da das Angebot an Arbeitsplätzen größer und vielfältiger ist als auf dem Land. Allerdings ist es häufig schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden.

 

Gestaltungsmöglichkeiten für Kommunen

Von demografischen Schrumpfungen betroffene Kommunen können viel tun, um ihre Bevölkerungsentwicklung positiv zu beeinflussen. Sie müssen sich attraktiv für den Zuzug machen. Das kann beispielsweise durch eine gute Anbindung ans Datennetz passieren – Digitalisierung ist eine Chance für ländliche Kommunen. Der Ausbau von Kitas, Schulen und Weiterbildungsangeboten ist ein wichtiger Aspekt, der zur Attraktivität von Kommunen beiträgt und zugleich die Fachkräftesicherung einer Region unterstützt. Die Weiterentwicklung der Bildungsinfrastruktur sollte Möglichkeiten des lebenslangen Lernens berücksichtigen. Außerdem ist die Schaffung sozialer und kultureller Treffpunkte wichtig, um Begegnungen von Bürgerinnen und Bürgern anzuregen. Zugleich sollten Kommunen sich gegenüber neuen Ideen und Initiativen öffnen und Partizipationsmöglichkeiten schaffen. Es kann die Zufriedenheit der neu Zugezogenen erhöhen, wenn sie sich integriert fühlen und die Möglichkeit haben mitzugestalten. 

 

Gutes Praxisbeispiel: Hettstedt im Landkreis Mansfeld-Südharz

In den Kommunen des Mitteldeutschen Reviers lassen sich zahlreiche gute Ansätze finden, die zeigen, mit welchen Maßnahmen die Bevölkerungsentwicklung beeinflusst werden kann. So benannte Dr. Florian Breitinger die Stadt Hettstedt im Landkreis Mansfeld-Südharz als gutes Praxisbeispiel. Die von jahrhundertelangem Bergbau geprägte Stadt musste nach der Wiedervereinigung einen Verlust von einem Viertel der Arbeitsplätze verkraften, die Bevölkerungszahl sank um ein Drittel. Der Altersdurchschnitt liegt aktuell bei 50,8 Jahren. Um diese Strukturkrise zu bewältigen, wurde in den letzten Jahren viel in Nachhaltigkeit und Digitalisierung investiert, ein Heimatverein bietet Begegnungsmöglichkeiten und eine Kooperation mit der Universität Halle schafft Synergien zwischen ländlichem Raum und Großstadt und stärkt die Bildungsinfrastruktur der Kommune. Zahlreiche weitere Praxisbeispiele aus und für Kommunen finden sich in der Veröffentlichung „Von Umbrüchen und Aufbrüchen“ des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.

Mehr zum Thema

Aktion statt Resignation

Die Präsentation zum Vortrag von Dr. Florian Breitinger finden Sie hier als PDF zum Download.

Gestaltungsansätze für Kommunen

Gute Praxisbeispiele für Kommunen finden Sie in der Veröffentlichung „Von Umbrüchen und Aufbrüchen“ des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.

Kennzahlen­vergleich

Einen kurzen Rückblick zur Veranstaltung „Kennzahlenvergleich – Bildungsmonitoring im Mitteldeutschen Revier“ erhalten Sie hier.

Demografie in Mitteldeutschland

Die demografische Situation des Mitteldeutschen Reviers ist auf unserer Themenseite Bildungsmonitoring dargestellt.