Den Fachkräftenachwuchs zu sichern, ist wichtig. Wichtig ist aber auch, bereits ausgebildete Fachkräfte auf die Veränderungen von Wirtschaft und Arbeit vorzubereiten. Die Hochschulen im Süden Sachsen-Anhalts haben dies erkannt und ihre Strukturen zur wissenschaftlichen Weiterbildung gestärkt.
Lehre und Forschung sind die klassischen Handlungsfelder einer Hochschule. Hier werden junge Menschen qualifiziert (durch Lehre) und neues Wissen wird geschaffen (durch Forschung). In den vergangenen Jahren hat sich ein drittes Feld etabliert: Hochschulen wenden sich der sogenannten Third Mission zu. Hierunter werden Aktivitäten verstanden, die Hochschulen umsetzen, um verstärkt in die Gesellschaft hineinzuwirken. Das Tätigkeitsspektrum ist breit. Es reicht von kulturellem und gesellschaftspolitischem Engagement vor Ort bis hin zum Transfer von Wissen und Technologien in die regionale Wirtschaft. Zur Third Mission gehört aber auch, dass sich Hochschulen in ihrem Bildungsauftrag gegenüber neuen Zielgruppen öffnen und Bildungsformate außerhalb des regulären Studiensystems bereitstellen. Hörsäle und Seminarräume stehen nun nicht mehr nur „klassischen“ Studierenden offen. Auch Menschen in höherem Alter und/oder ohne akademischen Hintergrund erhalten an Hochschulen die Möglichkeit, sich (wissenschaftlich) weiterzubilden. Damit öffnen sich Hochschulen für heterogene Zielgruppen, für die ein langwieriges reguläres Studium nicht in Betracht kommt oder die hierfür nicht die erforderlichen Zulassungsvoraussetzungen erfüllen.
Genau in diesem Feld der wissenschaftlichen Weiterbildung konnten sich die Hochschulen Merseburg und Anhalt (Standort Köthen) auf der sachsen-anhaltinischen Seite des Mitteldeutschen Reviers in den vergangenen zwei Jahrzehnten schrittweise profilieren. Über die Qualifizierung des Fachkräftenachwuchses hinausgehend, unterbreiten beide Hochschulen Unternehmen und Beschäftigten, die etwa von wirtschaftlichen Transformationsprozessen betroffen sind, passgenaue Angebote zur Weiterbildung. Passgenauigkeit wird dabei in zweierlei Hinsicht mitgedacht: hinsichtlich der Formate und der Inhalte.
Hinsichtlich der Formate haben die Hochschulen eine große Vielfalt an Angeboten entwickelt. Hierzu zählen berufsbegleitende Bachelor- und Masterstudiengänge, die sich, ähnlich wie die grundständigen Studiengänge, über mehrere Semester erstrecken. Besonders gefragt sind zudem kleinteilige und flexible Angebote mit kürzerer Dauer wie Zertifikatskurse oder modulare Formate, die besonders gut auf die individuellen Lebensumstände und Lernziele ausgerichtet werden können. Daneben setzen beide Hochschulen kurzweilige Veranstaltungsformate um. Zu nennen ist die 2017 an der Hochschule Anhalt ins Leben gerufene Veranstaltungsreihe „per ANHALTer“. In dieser werden aktuelle Themen wie Robotik oder Künstliche Intelligenz aufgegriffen und regionale Unternehmen zur Diskussion darüber eingeladen. Unternehmen erhalten eine Plattform, um technologische Trends frühzeitig zu erkennen und Kontakte mit potenziellen Partnern der Region zu knüpfen. Zusätzlich erhält die Hochschule Anhalt Anregungen, welche Bedarfe an wissenschaftlicher Weiterbildung unternehmensseitig bestehen. So können existierende Angebote weiterentwickelt und neue auf den Weg gebracht werden.
Hinsichtlich der angebotenen Weiterbildungsinhalte bauen beide Hochschulen vorrangig auf die thematischen Schwerpunkte ihrer regulären Bachelor- und Masterstudiengänge und damit auf die eigene Expertise aus den Fachbereichen auf. An der Hochschule Merseburg sind dies unter anderem Betriebswirtschaftslehre, Soziale Arbeit sowie Chemie- und Umwelttechnik. Am Standort Köthen der Hochschule Anhalt liegen die Schwerpunkte etwa in der Elektrotechnik, der Informatik und den Biowissenschaften.
Die Vielfalt an Weiterbildungsangeboten, die die Hochschulen vorhalten können, ist naturgemäß begrenzt. Zugleich haben Unternehmen und Beschäftigte Interesse an Angeboten, die exakt auf ihre spezifischen, mitunter disziplinübergreifenden Bedarfe zugeschnitten sind. Daher besteht die Gefahr, dass Angebot und Nachfrage nicht zusammentreffen, Interessierte an wissenschaftlicher Weiterbildung also kein entsprechendes Angebot vor Ort finden. Um diesem Problem zu begegnen, haben die Hochschulen Merseburg, Anhalt und Harz 2015 das Verbundprojekt „Wissenschaftliche Weiterbildung für KMU in Sachsen-Anhalt“ gestartet. Als wichtigstes Produkt der Zusammenarbeit wurde der Bildungskonfigurator WIBKO® – Wissenschaftlich, Individuell, Berufsbegleitend, Kombinierbar, Online – entwickelt. Dort sind die Weiterbildungsangebote der Hochschulen Sachsen-Anhalts zusammengetragen. Interessierte können sich aus den unterschiedlichen Modulen der Hochschulen per Onlinekatalog ihr passendes Gesamtpaket zur Weiterbildung flexibel zusammenstellen.
Die hochschulübergreifende Zusammenarbeit zielt zudem darauf ab, die Aufmerksamkeit für die Potenziale wissenschaftlicher Weiterbildung in Sachsen-Anhalt zu erhöhen. Gerade klein- und mittelständische Unternehmen, die das Rückgrat der regionalen Wirtschaft bilden, werden dabei adressiert. Unter dem Dach einer gemeinsamen Marketing- und Kommunikationsstrategie wurden ein Corporate Design entwickelt und verschiedene Maßnahmen umgesetzt. Hierzu zählen eine Website samt Newsletter, Informationsveranstaltungen, Messeauftritte, Broschüren und Werbeaktionen im öffentlichen Raum. Im Februar 2021 wurde unter dem Titel „Hochschulen als Weiterbildungsanbieter: Ein Marktplatz für Mitteldeutschland – der Weg in die Zukunft“ eine Online-Tagung mit fast 270 Teilnehmenden aus 13 Bundesländern ausgerichtet. Darüber hinaus artikuliert der Verbund seine Interessen gegenüber der Politik. So regt er etwa zur Verbesserung der Rahmenbedingungen – allen voran der Förder- und Zertifizierungsmöglichkeiten – für wissenschaftliche Weiterbildung an.
Hier besteht Nachholbedarf, denn die wissenschaftliche Weiterbildung kann – ergänzend zu den etablierten Strukturen der beruflichen Weiterbildung – einen wichtigen Beitrag zur Fachkräfteentwicklung leisten. Dies gilt erst recht für den Süden Sachsen-Anhalts, wo sich vielfältige Herausforderungen demografischer und wirtschaftlicher Art überlagern. Es mangelt an Fachkräftenachwuchs und Beschäftigte müssen kontinuierlich auf neue Arbeitserfordernisse vorbereitet werden. Die regionale Wirtschaft, traditionell geprägt durch die Braunkohle und die chemische Industrie, muss sich einem komplexen Transformationsprozess stellen – beispielsweise hinsichtlich der Erschließung neuer Energiequellen fernab von Braunkohle und Erdgas. In diesem Transformationsprozess können die Hochschulen Anhalt und Merseburg mit ihren ausgeprägten MINT-Profilen und ihrer engen Verzahnung von Theorie und Praxis eine Schlüsselrolle einnehmen. Sie haben das Rüstzeug, um den Fachkräften sowohl von morgen wie auch von heute jene Kompetenzen zu vermitteln, die für den Wandel und die Leistungsfähigkeit der regionalen Wirtschaft bedeutsam sind.