Expertengespräche über die Herausforderungen des Strukturwandels

Wer gestaltet den Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier? Wie gut ist die Bildungslandschaft auf die Entwicklungen der nächsten Jahre vorbereitet? Wie lassen sich Anforderungen und Handlungsfelder erkennen? Uns interessieren die verschiedenen Perspektiven von Fachleuten, Institutionen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Um diese Perspektiven kennenzulernen, führen wir Gespräche mit Expertinnen und Experten.

Fachkräfte, die heute noch in den Bergbau einsteigen, müssen berufliche Veränderungen im Laufe ihrer Biografie einplanen.

Status Quo: Wo stehen wir heute und welche Herausforderungen gibt es?

Den Auftakt unserer Forschung bildet eine Status-Quo-Analyse, die u. a. die demografische Entwicklung im Revier analysiert, das Wegfallen und Entstehen von Arbeitsplätzen hinterfragt und eine Bestandsaufahme von Bildungsinstitutionen im mitteldeutschen Raum vornimmt. Unsere Informationen beziehen wir dabei aus vorliegenden Studien, Materialien zu strukturrelevanten Themen des Reviers sowie aus Presseberichten. Darüber hinaus vertiefen wir die Eindrücke durch Fachgespräche mit Expertinnen und Experten aus der Region. Doch was genau erhoffen wir uns von diesen Gesprächen und wie gewinnen wir daraus wissenschaftlich verwertbare Erkenntnisse?

Der Vorteil qualitativer Interviews

Wenn es darum geht, verschiedene Ansichten zu den Herausforderungen des Strukturwandels zu erfassen, kann dies auf unterschiedlichen Wegen erfolgen. Denkbar wäre beispielsweise, Fragebögen zu versenden, um mit vertretbarem Aufwand möglichst viele Menschen einzubeziehen. Der Nachteil dieser Methode ist jedoch, dass nur die Fragen beantwortet werden, die von uns im Fragebogen gestellt wurden. Das bedeutet, als Forschende brauchen wir bereits vor der Befragung eine genaue Vorstellung, welche Aspekte zu einem Thema gehören und wie die Ansichten der Befragten aussehen könnten.

Geht es jedoch darum, Perspektiven und Hintergründe differenziert zu betrachten, macht es am meisten Sinn, die Akteurinnen und Akteure erzählen zu lassen. Auf diese Weise lassen sich am besten Bedürfnisse, Erfahrungen, Absichten, Vorgeschichten oder Interessenkonstellationen nachvollziehen, die die Forschenden möglicherweise vorab gar nicht im Blick hatten. Diese Methode bezeichnet man als qualitative Interviews, sie ist ergebnisoffen und explorativ.

Gleichzeitig folgt sie wissenschaftlichen Standards, etwa bei der Transkription und inhaltsanalytischen Auswertung. Das Gespräch wird durch einen Frageleitfaden vorstrukturiert. Eine gute Vorbereitung gehört also dazu. Während des Interviews bestimmen die Antworten den weiteren Verlauf des Gesprächs. Interessantes wird aufgegriffen und vertieft. So geraten immer wieder neue Aspekte in den Fokus.

Die Akteurinnen und Akteure

Wer sind nun die Personen, die von BiSMit im August und September 2021 zum Gespräch eingeladen werden? Zunächst haben wir Akteurinnen und Akteure aus den Bereichen Politik/Wirtschaft/Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft recherchiert, die verschiedene Berührungspunkte mit dem Thema Strukturwandel haben und in einem der drei Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen tätig sind. Hier kam eine Erstauswahl von über 60 Personen zustande. Im Rahmen der Studie sind zehn Interviews mit Expertinnen und Experten eingeplant. Wir haben uns also entschieden, fünf Personen aus dem Bereich Politik/Wirtschaft/Verwaltung, drei aus der Wissenschaft und zwei aus zivilgesellschaftlichen Initiativen anzusprechen. Dazu zählen beispielsweise Vertreterinnen und Vertreter aus Ministerien, Kommunalverwaltung, Planungsverbänden, Hochschulen, Bildungsträgern und Netzwerken.

Unsere Fragen

Wenn wir zu einem Interview aufbrechen, haben wir unseren Frageleitfaden im Gepäck. Dieser basiert auf einem übergeordneten Fragenkatalog, der sich an den folgenden Themenkomplexen orientiert:

  • Welche strukturwandelbezogenen Themen sind für die Kommunen des Mitteldeutschen Reviers besonders relevant und welche Herausforderungen sind damit verbunden?
  • Mit welchen Instrumenten und Maßnahmen werden die vom Braunkohleausstieg betroffenen Kommunen beim Strukturwandel unterstützt?
  • Inwieweit wird die bildungsbezogene Arbeit in den Kommunen mit den Herausforderungen des Strukturwandels verknüpft?
  • Welche Kooperationen und Netzwerke existieren in der Bildungslandschaft im Mitteldeutschen Revier?

Zudem werden die Frageleitfäden auf die jeweils Befragten weiter zugeschnitten. Hier gehen wir ins Detail: Worin besteht die Arbeit der Befragten? Welche Aspekte des Strukturwandels spielen dabei eine besondere Rolle? Wo sehen sie aus ihrer Perspektive Handlungsbedarf und Entwicklungspotenziale? Welche Einblicke haben sie durch ihre Mitgliedschaft in bestimmten Gremien? Oder wo ließe sich eine Zusammenarbeit zwischen Kommunen, Bildungsträgern und Arbeitgebern weiter verbessern?

Was sagen die Expertinnen und Experten?

Aktuell laufen die Gespräche auf Hochtouren und die Auswertung wird noch einige Wochen in Anspruch nehmen. Ein paar Einblicke können wir jedoch bereits an dieser Stelle geben. 

Über die Situation der Bergleute haben wir gelernt, dass sie als hoch qualifizierte Fachkräfte auch jenseits der Braunkohleindustrie einsatzfähig sind. Gleichzeitig besteht die Herausforderung, dass die guten Tariflöhne des Bergbaus in vielen Branchen in den neuen Bundesländern bislang nicht erreicht werden. Entsprechend muss die Attraktivität des regionalen Arbeitsmarkts für die frei werdenden Fachkräfte aus dem Bergbau gesteigert werden.

Gleichzeitig müssen alle, die heute noch in den Bergbau einsteigen, berufliche Veränderungen im Laufe ihrer Berufsbiografie einplanen. Bildungsangebote sollten frühzeitig die Fähigkeit zum Branchenwechsel berücksichtigen. Dabei ist eine breit aufgestellte Grundbildung ebenso relevant wie das lebenslange Lernen, z. B. durch berufsbegleitende Weiterqualifikation.

Manche sehen den Strukturwandel als Beschleuniger ohnehin stattfindender Entwicklungen hinsichtlich der zunehmenden Flexibilität im Berufsleben – ein weiterer Hinweis darauf, dass lebenslanges Lernen künftig noch mehr Relevanz erfahren wird.

Nach Aussage der Expertinnen und Experten wird der Bedarf an Fachkräften im Mitteldeutschen Revier in den kommenden Jahren zunehmen. Die regionalen Arbeitsmärkte werden an ihre Grenzen stoßen, sodass die Region auf Zuwanderung angewiesen ist.

Zudem haben wir in den Gesprächen von Bedürfnissen erfahren, die Attraktivität von Mittelzentren und ländlichen Räumen, insbesondere für hoch qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zu steigern. Hier haben wir von Wünschen gehört, Kooperationen mit Hochschulen zu stärken und dabei abseits der Oberzentren eigene Verantwortlichkeiten und Standorte zu etablieren.

Schließlich kamen auch Erfahrungen aus der Corona-Pandemie zur Sprache. Konkret zeigte sich, wie Digitalisierung und mobiles Arbeiten hoch qualifizierten Menschen ein Leben in strukturschwachen Regionen ermöglichen können: Indem sich Präsenzzeiten in Oberzentren reduzieren lassen, wächst die Attraktivität des ländlichen Raums als Wohnstandort für Familien.

Diese und weitere Befunde bündeln wir in einer Publikation, der Status-Quo-Analyse. Sie wird im ersten Quartal 2022 erscheinen.

Ansprechpartner

Dr. Tom Hoyer

Tel.: 0341-993923 24 E-Mail: hoyer@dji.de