Die duale Berufsausbildung ist für die Fachkräftesicherung im Revier von besonderer Bedeutung. Welche Rolle spielt dabei die Erreichbarkeit von Bildungseinrichtungen? Wie ist das Berufsschulangebot im Mitteldeutschen Revier? Wir werfen einen Blick auf die Situation von Ausbildungsberufen, die relevant für die regionale Wasserstoffwirtschaft sind.
Die duale Berufsausbildung genießt in Deutschland einen hohen Stellenwert. Allein 2023 wurden deutschlandweit ca. 480.000 neue Ausbildungsverträge unterzeichnet (siehe Statistisches Bundesamt). Für das Gelingen des Strukturwandels spielt die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften, insbesondere in Zukunftsberufen, eine wichtige Rolle. Dies unterstrich zuletzt auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bei der Vorstellung des Förderprojekts Ausbildungscluster 4.0: „Wir stärken die duale Ausbildung in Kohleausstiegsregionen und investieren in Zukunftsberufe“. Dennoch stehen sowohl die Ausbildungsbetriebe als auch die kommunalen Bildungsakteure in den Revieren vor verschiedenen Herausforderungen. Insbesondere die ländlich geprägten Kommunen des Lausitzer und Mitteldeutschen Reviers kämpfen mit den Auswirkungen des fortschreitenden demografischen Wandels: Die Auszubildendenzahlen sinken und Bildungseinrichtungen müssen in Folge dessen Umgang mit der veränderten Nachfrage finden (siehe Kennzahlenbericht BiSMit).
Um die Fachkräftesicherung in der Region langfristig zu gewährleisten, ist es daher wichtig, die Strukturen der beruflichen Bildung in der Region attraktiv und für die Anforderungen der Zukunft passend zu gestalten. Dabei rückt auch die nahräumliche Verfügbarkeit von Bildungseinrichtungen in den Fokus der Betrachtung. Schon länger wird in der wissenschaftlichen Debatte auf die Rolle von Erreichbarkeiten im Kontext von Bildung hingewiesen (siehe z. B. Sixt, Waibel). Hinzu kommen konkrete empirische Belege im beruflichen Kontext, wie zum Beispiel eine 2019 von der IHK Niedersachsen durchgeführte Ausbildungsumfrage. Diese ergab, dass die meisten Unternehmen Entfernungen von 20 bis 30 Kilometern zur Berufsschule als zumutbar für ihre Auszubildenden erachten. Zudem ist jedes fünfte Unternehmen der Auffassung, dass schlechter erreichbare Berufsschulen Ausbildungsplätze kosten. Auch im vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) veröffentlichten Ausbildungsreport 2022 stellt die örtliche Nähe zum Wohnort das am zweithäufigsten genannte Berufswahlkriterium dar. Es wird deutlich: Bei der Entwicklung einer zukunftsorientierten regionalen Ausbildungsstrategie muss auch die Erreichbarkeit des Berufsschulangebots berücksichtigt werden.
Spätestens mit Einführung der Nationalen Wasserstoffstrategie wurde die Wasserstoffwirtschaft bundespolitisch als zukunftsfähiger Wirtschaftszweig herausgestellt. Auch im Mitteldeutschen Revier gewinnt Wasserstoff als Zukunftstechnologie an Bedeutung. Nicht zuletzt durch Fachverbände wie das „HYPOS-Netzwerk“ wird die strategische Ausrichtung der Wirtschaftsregion hin zum Wasserstoff forciert. Teilweise wird im Zuge dessen gar vom Wandel der Braunkohle- zur grünen Wasserstoffregion gesprochen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, braucht es neben politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gut qualifizierte Fachkräfte. Die vom Bundesinstitut für Berufsbildung durchgeführte Studie „H2PRO – Wasserstoff als Zukunftsthema für die berufliche Bildung“ identifiziert für verschiedene Sektoren der Wasserstoffwirtschaft relevante Ausbildungsberufe. Besonderer Bedarf besteht beispielsweise an Berufen wie:
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Abbildung 1 fasst für diese Ausbildungsberufe die verfügbaren Berufsschulstandorte im Revier zusammen. Es zeigt sich ein differenziertes Bild. Während in Bildungsgängen des Handwerks wie Anlagenmechaniker/-in, Industriemechaniker-/in oder Konstruktionsmechaniker/-in ein vergleichsweise dichtes Netz an Berufsschuleinrichtungen besteht, konzentriert sich beispielsweise das Angebot für angehende Fachinformatiker/-innen auf die Ballungszentren Leipzig und Halle. Auch angehende Chemikantinnen/Chemikanten werden nur an zwei Standorten im Revier beschult. Zudem bietet keine der im Revier verorteten Berufsschulen den Bildungsgang Technische/-r Systemplaner/-in an. Deutlich wird außerdem: Keine der Revierkommunen deckt alle relevanten Bildungsgänge der Wasserstoffwirtschaft eigenständig ab.
Welche Rückschlüsse lassen sich aus dieser Betrachtung ziehen? Allein mit dem Blick auf die verfügbaren Berufsschulstandorte und deren Verteilung zeigen sich bereits die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Revierkommunen in Bezug auf deren Erreichbarkeit. Während Ballungszentren wie Leipzig oder Halle auf ein breites und leicht zugängliches Bildungsangebot zurückgreifen können, ist die Situation in den ländlicher geprägten Landkreisen je nach Bildungsgang angespannter. Dies kann unmittelbare Auswirkungen auf die Vermittlung von Ausbildungsplätzen haben und bedarf daher besonderer Betrachtungen.
Um das gesamte Revier als attraktive Wasserstoffregion zu positionieren, wird die Bedeutung einer regionalen Perspektive in der beruflichen Bildungslandschaft deutlich. Sowohl die Frage nach der grundlegenden Verfügbarkeit von relevanten Bildungsgängen im Revier als auch deren Erreichbarkeit sind Themen, welche zwingend in der jeweiligen Bildungsplanung der Länder Berücksichtigung finden sollten. Gleichzeitig bedürfen sie einer kommunen- und länderübergreifenden Koordination.
Die besondere geografische Situation des Reviers, das sich über drei Bundesländer erstreckt, birgt somit sowohl Potenziale als auch Herausforderungen. Von der Intensivierung länderübergreifender Zusammenarbeit kann auf unterschiedliche Art und Weise profitiert werden. Der Ausbau bestehender Berufsschulkooperationen oder gemeinsame Standortentscheidungen sind exemplarische Ansätze, welche die Erreichbarkeit der Bildungseinrichtungen im Einzelfall erhöhen können. Aber auch um das gesamte Revier als Wirtschafts- und Innovationsregion zu etablieren, besteht ein Interesse daran, Bildungsangebote innerhalb des Reviers zu fördern. Zum einen verbleiben so wichtiges Wissen und Kompetenzen vor Ort und zum anderen wird der Gefahr entgegengewirkt, dass Auszubildende die Region verlassen (siehe dazu Cluster- und Innovationsliteratur). Gleichzeitig ist im föderalen System Deutschlands berufliche Bildung Ländersache. Die Koordination und Vereinbarung von drei Landesplanungen hat sich bereits in der Vergangenheit als herausfordernd dargestellt.
Vor dem Hintergrund des fortschreitenden demografischen Wandels wird gerade im ländlichen Raum die Bündelung von Ressourcen weiterhin Diskussionsgegenstand bleiben. Dennoch muss die Erreichbarkeit von Infrastrukturen der beruflichen Bildung auch zukünftig im Blick behalten werden. Die Behandlung weiterführender Fragen kann daher sowohl die wissenschaftliche Diskussion als auch die praktische Arbeit der Akteure in der Region voranbringen. Beispiele hierfür wären: Wie entwickeln sich die Schülerzahlen an den jeweiligen Berufsschulstandorten? Wie stellt sich das räumliche Matching des beruflichen Ausbildungsangebots mit relevanten Branchen dar? Welche Erkenntnisse können aus einer detaillierten GIS-gestützten Erreichbarkeitsmodellierung gezogen werden? Auch in unserem Projekt BiSMit werden wir uns weiter mit der Thematik auseinandersetzen.
Sascha Rentzsch