Die zivilgesellschaftliche Perspektive zum Strukturwandel

Im Mitteldeutschen Revier vernetzen sich zivilgesellschaftliche Akteure und Vereine, um sich über ihre Interessen bei der Gestaltung des Strukturwandels auszutauschen, Beteiligungsmöglichkeiten auszuloten und ihren Positionen gemeinsam Gehör zu verschaffen. Inwieweit dies gelingt, welche Themen und Fördermöglichkeiten eine Rolle spielen, wo dabei Bildung wichtig ist und wie man selbst aktiv werden kann, darüber sprachen wir mit Leon Huff vom Bündnis StrukturWandeln.

Das zivilgesellschaftliche Bündnis StrukturWandeln setzt sich im Mitteldeutschen Revier dafür ein, dass Menschen vor Ort den Wandel in ihrer Region mitgestalten können.

Seit wann gibt es das Bündnis StrukturWandeln, wer sind Ihre Mitglieder und was sind Ihre Ziele?

Gestartet sind wir Ende 2020 mit einer Umfrage unter zivilgesellschaftlichen Organisationen im Mitteldeutschen Revier. Wir haben festgestellt, dass es beim Strukturwandel ein großes Bedürfnis nach Vernetzung, transparenten Informationen und guten Beteiligungsmöglichkeiten gibt. Mit dem Bündnis StrukturWandeln möchten wir den Austausch unter Engagierten fördern, ihre Anliegen bündeln und uns dafür einsetzen, dass sie den Strukturwandel aktiv mitgestalten können. Wir glauben, dass der Wandel große Chancen für eine sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Transformation der Region bietet. Damit das aber gelingt, brauchen wir neben Wirtschaft, Politik und Verwaltung auch die engagierte Zivilgesellschaft vor Ort.

Es gibt inzwischen einen weiten Kreis von Interessierten, die regelmäßig oder anlassbezogen im Bündnis mitwirken. Zum festen Kern des Teams gehören aktuell fünf Vereine: der Landesverband Nachhaltiges Sachsen, das Netzwerk Zukunft Sachsen-Anhalt, der Kinder- und Jugendring Landkreis Leipzig, die Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen Sachsen-Anhalt und der Brachwitzer Alpen e.V.

Alle, die sich unseren Zielen verbunden fühlen (es gibt auch ein gemeinsames Leitbild), sind herzlich willkommen, mitzuwirken.

 

Bei der politischen Gestaltung des Strukturwandels geht es darum, die Regionen für die Menschen, die in ihnen leben, zukunftsfähig zu machen. Wie schätzen Sie die Einbindung der Zivilgesellschaft in diesen Prozess sowie die Mitwirkungsmöglichkeiten der betroffenen Menschen vor Ort ein?

Wir glauben, dass breite Beteiligungsmöglichkeiten im Strukturwandel-Prozess noch nicht ausreichend verankert sind. Es gab einige interessante Formate – zum Beispiel Zukunftswerkstätten an verschiedenen Orten, es wurde auch ein Jugendgutachten erarbeitet. Welchen Stellenwert die Ergebnisse aus solchen Formaten im weiteren Prozess haben, ist aber häufig unklar. Das kann zu Frust bei den Beteiligten führen. Der Strukturwandel wird oft als etwas Abstraktes wahrgenommen. Umso wichtiger ist es, dass Ergebnisse von Engagement konkret vor Ort spürbar werden.

Gut ist es, dass in den Regionalen Begleitausschüssen der Reviere in Sachsen ganz verschiedene Interessengruppen vertreten sind, die unterschiedliche Teile der Gesellschaft repräsentieren. Allerdings beschäftigen sich die Begleitausschüsse nur mit einem Teilbereich des Strukturwandels (der „Förderrichtlinie für Zuwendungen nach dem Investitionsgesetz Kohleregionen“), sie tagen nicht öffentlich und die Vertreterinnen und Vertreter der Interessengruppen haben als beratende Mitglieder kein Stimmrecht. Eine gestaltende Mitwirkung der Zivilgesellschaft im Gesamtprozess, durch die auch eigene Ideen entstehen und umgesetzt werden können, ersetzen die Begleitausschüsse nicht. Vergleichbar ist die Situation beim „Revierausschuss“ in Sachsen-Anhalt.

 

Die Wahlprognosen in Sachsen und Ostdeutschland zeichnen mitunter ein alarmierendes Bild bezüglich des Vertrauens in die Politik. Welche Strategien wären Ihrer Ansicht nach sinnvoll, um insbesondere die Strukturwandelpolitik an die Menschen zurückzubinden?

Das ist natürlich eine große gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Ein wichtiger Ansatz ist in unseren Augen: transparent informieren und echte Beteiligung ermöglichen. Die Entwicklung der Region muss als etwas wahrgenommen werden, das man vor Ort mitgestalten kann – und dieses Versprechen gilt es dann auch einzulösen. Gerade dort, wo sich Menschen von der Politik oder gar von der Demokratie abkehren, brauchen wir eine starke und aktive Zivilgesellschaft, für die es gute unterstützende Rahmenbedingungen gibt.

 

Demokratische Teilhabe und zivilgesellschaftliches Engagement setzen voraus, dass sich die Menschen über Wandlungsprozesse informieren und in die Lage versetzt werden, an Gestaltungsprozessen teilzunehmen. Denken Sie, dass in diesem Bereich mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden muss und bei welchen Akteuren und Institutionen läge der Bildungsauftrag?

Für viele Menschen ist der Strukturwandel nach wie vor ein wenig transparenter Prozess, zu dem sie sich nicht gut informiert fühlen. Der Wunsch nach Information besteht aber auf jeden Fall. Das nehmen wir im Austausch mit Engagierten wahr und das bestätigt z. B. auch der repräsentative Mitteldeutschland-Monitor. Hier anzupacken ist eine gemeinschaftliche Aufgabe: Politik und Verwaltung können gute Rahmenbedingungen schaffen, indem sie Informationen frühzeitig und transparent zugänglich machen und aktiv kommunizieren. Damit die Dinge aber wirklich bei Aktiven vor Ort ankommen, braucht es auch eine gute zivilgesellschaftliche Selbstorganisation und niedrigschwellige Beratungsangebote vor Ort. Wir möchten mit dem Bündnis StrukturWandeln deswegen perspektivisch ein Netzwerk mit regionalen Knotenpunkten aufbauen, an die sich Interessierte wenden können.

 

Das Strukturstärkungsgesetz sieht nur begrenzt Förderungen für Bildungsmaßnahmen vor, da Bildung in den Verantwortungsbereich der Länder fällt. Denken Sie, dass an dieser Stelle Handlungsbedarf besteht, oder weitere Programme wie die STARK-Förderrichtlinie ausreichend Möglichkeiten für Projekte im Bereich Bildung bieten?

Bildungsprojekte – etwa im Bereich Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) – gehören in jedem Fall zu einem erfolgreichen Strukturwandel dazu. Hier kann auch die wichtige Zielgruppe junger Menschen gewonnen werden, sich mit der Zukunft der Region auseinanderzusetzen. Im besten Fall geschieht dies nicht in isolierten Projekten, sondern integriert in die vielfältigen bestehenden schulischen und außerschulischen Angebote. Einzelne Förderprogramme setzen zwar vielerorts Grenzen, weil zum Beispiel der Bund nicht in Länderzuständigkeiten „hineinfördern“ kann. Das ist auch bei STARK der Fall. Wichtig ist es deswegen, dass wir den Strukturwandel nicht als Abhandeln von einzelnen Förderrichtlinien, sondern als ganzheitliche Entwicklung der Region verstehen. Lokale Beratungsstellen, vom kommunalen Strukturwandel-Management bis zu zivilgesellschaftlichen Netzwerken, könnten Engagierten helfen, den richtigen Finanzierungsweg für ihre Idee zu finden. Hier sollten wir den Aufbau bereichsübergreifender Unterstützungsstrukturen stärken.

 

Wie schätzen Sie generell die Chance für Projektideen aus der Zivilgesellschaft vor Ort ein, von Strukturwandelförderungen zu profitieren?

Was die großen Summen angeht, die über Landes- und Bundesarm der Förderung explizit für wirtschaftsnahe Infrastruktur vorgesehen sind, bleibt die Zivilgesellschaft weitgehend außen vor. Ähnliches gilt auch für den europäischen Just Transition Fund, der sich vor allem an Unternehmen richtet. Relativ breit aufgestellt ist dafür die Förderrichtlinie STARK – sie ist aber auch entsprechend nachgefragt und deutlich überzeichnet. Lokale Initiativen, die hier ihr Glück versuchen, stehen außerdem in Konkurrenz zu großen Akteuren (z. B. Institutionen der Bundesländer), die viele Mittel auf sich vereinen. Wir fänden es sehr sinnvoll, einen nennenswerten Anteil der Fördergelder explizit für den Bereich Beteiligung und Zivilgesellschaft einzuplanen.

Eine gute und niedrigschwellige Fördermöglichkeit für kleine lokale Projekte gibt es in Sachsen mit dem simul+Mitmachfonds. In Sachsen-Anhalt geht ab 2023 der Ideenwettbewerb „Revierpionier“ an den Start, der Ähnliches ermöglicht. Woran es bisher mangelt, sind aber Ressourcen für langfristige und tragfähige zivilgesellschaftliche Selbstorganisation. Wir brauchen Vernetzungs- und Unterstützungsstrukturen, damit aus Ideen konkrete Projekte werden, damit gute Beispiele übertragen werden können und damit engagierte Mitstreiterinnen und Mitstreiter kollegiale Beratung finden. Dafür setzen wir uns als Bündnis ein.

 

Die Strukturwandelpolitik setzt besonders auf die Schaffung von Arbeitsplätzen sowie den Ausbau örtlicher Infrastruktur, um Wirtschaft und Fachkräfte langfristig an die (ehemaligen) Braunkohlereviere zu binden. Gibt es aus der zivilgesellschaftlichen Perspektive weitere Aspekte und Bereiche des Strukturwandels, die aktuell zu wenig Aufmerksamkeit bekommen?

Sogenannte „weiche Standortfaktoren“, z. B. soziale und kulturelle Angebote, erscheinen in der Debatte manchmal als bloßes Beiwerk zu Arbeitsplätzen und Infrastruktur. Sie sind aber essenziell für eine Region, in der Menschen ihre Zukunft verbringen möchten. Wir sollten den Strukturwandel daher nicht als bloßen wirtschaftlichen Prozess verstehen, sondern als ganzheitliche Entwicklung einer lebenswerten Region. Absolut ins Zentrum gehört dabei das Thema Nachhaltigkeit: Wir müssen in den Kohleregionen nicht einfach eine Industrie durch eine andere ersetzen, sondern eine strukturelle Transformation hin zu einer klimagerechten Wirtschafts- und Lebensweise meistern. Die Strukturwandelregion ist sozusagen ein riesiges Pilotprojekt, das beispielhaft dafür steht, wie die nötige Transformation in eine nachhaltige Zukunft gelingen kann. Jedes gute Strukturwandelprojekt muss darstellen können, wie es auf dieses Ziel einzahlt.

 

Zum Abschluss: Gibt es im Rahmen Ihrer Schwerpunkte und Aktivitäten noch etwas, worauf das Bündnis StrukturWandeln aufmerksam machen möchte?

Wir laden herzlich dazu ein, sich bei uns einzubringen! Mit dem digitalen „Strukturwandel-Stammtisch“ haben wir ein regelmäßiges Austauschformat zu wechselnden Themen. Aber auch sonst sind wir gerne für Engagierte mit ihren Ideen, Fragen oder Vernetzungsbedarfen ansprechbar. Alle Kontakt- und Veranstaltungsinfos gibt es auf unserer Website struktur-wandeln.de.

 

Wir danken dem Bündnis StrukturWandeln für den informativen Einblick in seine Arbeit. Die Antworten auf unsere Fragen spiegeln den Standpunkt des Bündnisses wider und wurden im Koordinierungsteam abgestimmt.

Das Interview führte

Dr. Tom Hoyer

Tel.: 0341-993923 24 E-Mail: hoyer@dji.de