Strukturwandel braucht Beteiligung, denn nur mit der Bevölkerung gelingen Veränderungen. Wenn Beteiligung gut funktioniert, wächst das Vertrauen in Institutionen, Verwaltung und Politik – eine wichtige Voraussetzung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch Demokratiebildung spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Sie vermittelt beispielsweise, welche Möglichkeiten zu Mitgestaltung des gesellschaftlichen Lebens bestehen. Über Demokratiebildung und Beteiligung im Strukturwandel sprachen wir mit Dr. David Löw-Beer.
Dr. David Löw-Beer arbeitet am Research Institute for Sustainability Potsdam (RIFS) und leitet das Projekt Regionale Nachhaltigkeitstransformationen. Die Schwerpunkte der Forschung von Dr. David Löw Beer liegen in den Zusammenhängen zwischen demokratischen Strukturen und Nachhaltigkeitstransformationen, Jugendbeteiligung, ökonomischer und politischer Bildung sowie Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Warum sind Beteiligung und Demokratiebildung im Strukturwandel in den ostdeutschen Braunkohlerevieren besonders wichtig?
In den ostdeutschen Braunkohlerevieren herrscht eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit dem Staat und Misstrauen gegenüber der Politik. Trotz hoher Fördermittel und wirtschaftlicher Fortschritte bleibt die Zustimmung zum politischen System gering. Gründe sind unter anderem Mängel in der öffentlichen Daseinsvorsorge, Abwanderung junger Menschen und Ängste vor einer Wiederholung der 1990er-Jahre.
Dialogorientierte Beteiligung kann helfen, Vertrauen in Regierung und Verwaltung zu stärken, wenn sichtbar wird, wie Entscheidungen entstehen. Sie kann gesellschaftliche Spaltungen verringern und Politikern ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse der Bevölkerung vermitteln. Beteiligung allein reicht jedoch nicht – es braucht auch eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen, eine Stärkung kommunaler Entscheidungsbefugnisse und klare Strukturen, wie mit den Beteiligungsergebnissen umgegangen wird.
Demokratiebildung spielt eine zentrale Rolle. Durch sie können Mitgestaltungsmöglichkeiten erlernt und erlebt werden, Grundrechte vermittelt, eine friedliche Konfliktaushandlung eingeübt und für Gefahren für die Demokratie sensibilisiert werden. Demokratiebildung befähigt zu selbstbestimmtem Handeln und gesellschaftlichem Engagement – ein entscheidender Faktor angesichts aktueller demokratischer Herausforderungen.
Wie gut funktioniert die Beteiligung in den ostdeutschen Braunkohlerevieren?
Im Zuge des Beschlusses zum Kohleausstieg 2019/2020 wurden in den Braunkohlerevieren Dialog- und Beteiligungsprozesse gestartet. Diese hatten teils gute Elemente, litten aber vor allem unter großem Zeitdruck oder adressierten eine Ebene, die für die meisten Menschen zu abstrakt war. Für aktuelle Prozesse kann ich vor allem etwas zu Brandenburg und Sachsen sagen. In Brandenburg qualifizieren fünf Werkstätten Projektanträge zur Strukturwandelförderung und machen der Landesregierung Vorschläge, welche Projekte gefördert werden sollen. Die Landesregierung übernimmt i.d.R. diese Vorschläge. In den Werkstätten sitzen Stakeholder aus Kommunal- und Landespolitik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. In Sachsen gibt es ebenfalls eine Stakeholderbeteiligung über Regionale Begleitausschüsse, wobei hier die Beteiligung deutlich später im Prozess erfolgt und nur staatliche Akteure stimmberechtigt sind. In beiden Ländern gibt es mit dem Mitmachfonds (Sachsen) bzw. Teilhabefonds (Brandenburg) die Möglichkeit für Bürger, kleinere Strukturwandelprojekte auf niederschwellige Art zu beantragen. Die Einflussmöglichkeiten der Stakeholder sind sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen begrenzt. Zusätzlich gibt es auf kommunaler Ebene eine Reihe von häufig aus der Lokalpolitik initiierten Beteiligungsprojekten zu konkreten lokalen Vorhaben.
Ein Fortschritt ist der ambitionierte Landtagsbeschluss Brandenburgs von 2022, der Kinder- und Jugendbeteiligung bei der Entwicklung von Projektanträgen und bei der Entscheidung über Projektanträge zum Strukturwandel vorsieht. Leider steckt die Umsetzung auch zweieinhalb Jahre nach dem Beschluss noch in den Anfängen.
Welche Rolle spielt Bildung für das Vertrauen in politische Institutionen und die Nutzung von Beteiligungsangeboten?
Eine spannende Frage, zu der ich verschiedene Sachen sagen möchte:
Europaweite Vergleichsstudien zeigen, dass Bildung das Vertrauen in Institutionen stärkt – allerdings nur, wenn diese als leistungsfähig und wenig korrupt wahrgenommen werden. Gleichzeitig ist in vielen Ländern ein allgemeiner Rückgang des Vertrauens in politische Institutionen zu beobachten. Ein Grund dafür ist das steigende Bildungsniveau: Gut gebildete Bürgerinnen und Bürger haben höhere Ansprüche an Transparenz, Mitbestimmung und Beteiligung. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, kann das Vertrauen in die Institutionen sinken.
Bildung und Information sind die Grundlage jedes Beteiligungsprozesses. Informationsangebote sollten verschiedene Lerntypen ansprechen. Zudem nutzen meist eher Menschen mit hoher Bildung Beteiligungsmöglichkeiten – dem kann bei konkreten Bildungsangeboten durch gezielte Auswahlmethoden wie geschichtete Zufallsziehungen entgegengewirkt werden.
Schließlich sind die Wirkungen von Bildung natürlich abhängig von der Ausgestaltung von Bildungsangeboten. Ein gelungenes Beispiel sind die 8er-Räte, die es in zahlreichen Kommunen in Baden-Württemberg gibt. Die baden-württembergischen Bildungspläne für die 8. Klassen aller Schularten beinhalten Themen wie „Demokratie in der Gemeinde“, „Mitbestimmung im Gemeinwesen“ und „Demokratische Einflussnahme“. Vor diesem Hintergrund wird in vielen Kommunen der sogenannte 8er-Rat gebildet. Hier werden Schülerinnen und Schüler ein Jahr lang darin begleitet, sich in die Kommunalpolitik einzubringen und sie werden von Politik und Verwaltung als jugendliche Ansprechpersonen zu Beratungen hinzugezogen. Dies ermöglicht praxisnahe Demokratieerfahrungen und schafft eine Verbindung zwischen schulischer Demokratiebildung und realer politischer Teilhabe.
In welchen Kontexten kann Demokratiebildung stattfinden? Welche Angebote existieren dafür? Und werden die Zielgruppen erreicht?
Für Kinder und Jugendliche spielen Schulen eine Schlüsselrolle, da sie alle Kinder und Jugendlichen erreichen. Neben Fachunterricht ist eine demokratische Schulkultur entscheidend – schon seit längerem durch Schülervertretungen oder Schülerparlamente. Beteiligungstools wie aula bieten die Möglichkeit, dass alle Schülerinnen und Schüler in Präsenz und virtuell Ideen für ihre Schulen entwickeln.
Außerhalb der Schule gibt es zahlreiche Angebote, die jedoch oft nur politisch interessierte Jugendliche ansprechen.
Demokratiebildung für Erwachsene erfolgt u.a. über Volkshochschulen, Deradikalisierungsprogramme und Beteiligungsangebote, erreicht jedoch vergleichsweise wenige Menschen.
Welche Handlungsempfehlungen ergeben sich aus Ihrer Forschung hinsichtlich eines von der Bevölkerung mitgetragenen Strukturwandels sowie der Förderung demokratischen Engagements in den Revieren der neuen Bundesländer?
Als der aktuelle Strukturwandelprozess 2019/2020 gestartet wurde, wurde häufig die Sorge geäußert, dass sich der Strukturbruch der 1990er-Jahre wiederholen könnte. In den ersten Jahren des Strukturwandels ist es gelungen, mehr neue Arbeitsplätze zu schaffen als in der Braunkohleindustrie wegfallen. Trotzdem wird der Strukturwandel weiterhin von einem beträchtlichen Anteil der Menschen kritisch gesehen oder sogar abgelehnt. Unsere Forschung zeigt, dass eine Anerkennung der Leistungen der Reviere sowie Beteiligung zu kurz gekommen sind. Um dem zu begegnen, empfehlen wir: