Boom, Ernüchterung, Wiederentdeckung: eine Zeitreise durch die Solarindustrie Mitteldeutschlands

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Treffender lässt sich die Entwicklung der Solarindustrie Mitteldeutschlands wohl kaum beschreiben. Durch Klima- und Energiekrise erlebt der Industriezweig aktuell eine Renaissance: Unternehmen investieren, die Politik unterstützt. Doch es gibt auch Herausforderungen. Hierzu gehört, den Fachkräftenachwuchs zu sichern und junge Menschen für das Feld zu begeistern.

Solarfeld bei Sangerhausen

Die Solarindustrie in Mitteldeutschland erlebt einen Wiederaufschwung. Bildung und Berufsorientierung können wichtige Beiträge in dieser Trendwende leisten. So haben viele Kommunen erkannt, dass es wichtig ist, frühzeitig bei Kindern und Jugendlichen Neugier für Nachhaltigkeitsthemen und die damit verbundenen Berufe zu wecken.

Von sonnigen Aussichten zu trüben Realitäten

Die Solarindustrie Mitteldeutschlands hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Diese begann in den frühen 2000er-Jahren. Nach einer langen Phase wirtschaftlicher Flaute, die die Nachwendejahre der neuen Bundesländer prägte, schien sich das Versprechen „blühender Landschaften“ endlich zu bewahrheiten. Großzügige Subventionen bildeten den Nährboden, auf dem sich eine vitale Solarindustrie entwickeln sollte. Als Zentrum etablierte sich das sogenannte Solar Valley im sachsen-anhaltischen Thalheim (Stadt Bitterfeld-Wolfen). Zeitweilig waren dort etwa 3.500 Menschen in den zahlreichen neu gegründeten Unternehmen der Solarindustrie beschäftigt.

Um die Zukunftsfähigkeit der aufkeimenden Branche sicherzustellen, stellte die öffentliche Hand erhebliche Mittel für Forschung und Entwicklung sowie Bildung bereit. In Halle (Saale) wurde 2007 das Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik aufgebaut. Es sollte neue Technologien ergründen, Produktionsprozesse optimieren und – darauf aufbauend – den Solarunternehmen der Region wertvolles Wissen vermitteln, um die Geschäftsmodelle nachhaltig auszurichten. Um den Fachkräftenachwuchs für die Solarbranche sicherzustellen, eröffnete 2010 in Erfurt das erste Solar-Ausbildungszentrum Deutschlands. Geplant war, dass dort jährlich bis zu 2.500 Personen ausgebildet werden oder eine anderweitige Qualifikation mit Bezug zur Solarwirtschaft erhalten. Aber auch im Bereich der Hochschulbildung bewegte sich einiges. Die Hochschule Anhalt richtete 2008 den dualen Bachelor-Studiengang Solartechnik ein. 2011 folgte die sächsische TU Bergakademie Freiberg mit der Einführung des Master-Studiengangs Photovoltaik und Halbleitertechnik. Anlass für all diese Aktivitäten im Bildungsbereich war die Vision, dass in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen bis zum Jahr 2013 etwa 40.000 Beschäftigte in der Solarbranche tätig sein könnten.

Doch es kam anders: Auf den Boom folgte in den frühen 2010er-Jahren die Ernüchterung. Der Industriezweig büßte mit den Kürzungen der Subventionen an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Konkurrenz aus Asien, insbesondere China, ein. Die Zukunftsaussichten trübten sich mehr und mehr ein. Die strukturbestimmenden Solarunternehmen Mitteldeutschlands fuhren ihr Engagement zurück, einige gingen pleite, andere wanderten – mit dem gesammelten Know-how im Gepäck – ab. Was zurückblieb, waren leerstehende Fabrikgebäude und eine Reihe von Bildungsangeboten, für die es nun kaum mehr Interessenten gab. 2011 meldete das Solar-Ausbildungszentrum in Erfurt mangels Nachfrage nach nur einem Jahr Insolvenz an. 2017 wurde die Auflösung des Freiberger Masterstudiengangs Photovoltaik und Halbleitertechnik beschlossen. Der Wunsch, Mitteldeutschland als Vorreiter der Energiewende und ökologischer Nachhaltigkeit zu positionieren, traf auf die Realität fehlender ökonomischer Nachhaltigkeit.

 

Licht am Ende des Tunnels

In jüngerer Vergangenheit zeichnet sich eine erneute Trendwende ab. Die Solarindustrie Mitteldeutschlands erlebt einen Wiederaufschwung. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Erstens hat der gesellschaftliche Druck auf die Politik zugenommen, die Klimakrise schnellstmöglich einzudämmen und bei der Energiewende an Tempo zuzulegen. Zweitens ist infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der damit verbundenen Energiekrise der Wunsch nach einer unabhängigen Energieversorgung groß. An Sonnenenergie führt dabei kein Weg vorbei. Drittens ist in den vergangenen Jahren infolge gestörter Lieferketten das Interesse gewachsen, sich wieder unabhängiger von globalen Wirtschaftsverflechtungen zu machen. Damit einher gehen Bestrebungen, Produktionsprozesse wieder kleinräumiger zu organisieren – so auch in der Solarbranche. Damit in Verbindung steht, viertens, ein ökonomisches Argument. Da die Kosten für den Transport von Solaranlagen aus Asien erheblich gestiegen sind, ist die (hochautomatisierte) Produktion hierzulande mittlerweile kaum mehr teurer und damit wieder konkurrenzfähig.

Das Comeback der mitteldeutschen Solarindustrie lässt sich am besten an den gestiegenen unternehmerischen Aktivitäten ablesen. Viele Betriebe haben ihre Produktionskapazitäten hochgefahren und / oder ihre Ausgaben in Forschung und Entwicklung erhöht. Meyer Burger, ein Solarproduzent mit Hauptsitz in der Schweiz, bezog Anfang 2021 eine einst stillgelegte Fabrikhallen in Thalheim und richtete dort eine hochmoderne Fertigungsanlage für Solarzellen ein. Q-Cells, Unternehmen der ersten Stunde im Solar Valley, investiert gegenwärtig zweistellige Millionenbeträge in sein dortiges Forschungs- und Entwicklungszentrum. Aber nicht nur im sachsen-anhaltischen Thalheim, sondern auch andernorts in Mitteldeutschland ist die Solarbranche zu neuem Leben erwacht. Allen voran sind hier Dresden und Chemnitz zu nennen, wo weitere namhafte Unternehmen der Branche wie Solarwatt (Dresden) und Heckert Solar (Chemnitz) ihren Sitz haben. Beide Unternehmen kommen angesichts der explodierenden Nachfrage nach Solaranlagen mit der Ausweitung ihrer Produktions- und Fertigungskapazitäten kaum hinterher. Allein Solarwatt hat in diesem Jahr 170 neue Beschäftigte eingestellt. Der Umsatz des Unternehmens wird sich 2022 gegenüber dem Vorjahr voraussichtlich mehr als verdoppeln. Dabei erhält die Solarbranche auch Rückenwind aus der Politik. Wolfram Günther, sächsischer Energie- und Klimaschutzminister, sprach im September 2022 davon, dass der Freistaat zu einem „Zentrum der europäischen Solar-Renaissance“ werden soll.

 

Eines ist sonnenklar: Fachkräfte werden benötigt

Um eine nachhaltige Renaissance der Solarwirtschaft zu ermöglichen, braucht es Fachkräfte. Und an denen mangelt es an allen Ecken und Enden. Dies wurde etwa auf den PV Days 2022, zu denen das Fraunhofer-Zentrum für Silizium-Photovoltaik in Halle (Saale) seit 2014 jährlich wichtige Akteure der Solarbranche einlädt, deutlich. So drohen die Fachkräfteengpässe für die Expansionsbestrebungen der Unternehmen zu einem echten Bremsklotz zu werden.

Um sich einen Eindruck über das Ausmaß des Fachkräftemangels zu verschaffen, genügt ein Blick in die offenen Stellenangebote der großen Solarunternehmen der Region. Die Liste ist lang und vielfältig. Gesucht werden beispielsweise Anlagen- und Industriemechanikerinnen, Elektroinstallateure und -ingenieure, Mechatroniker und Fachinformatikerinnen. Auffällig ist, dass für viele der angebotenen Stellen nicht etwa ein Studium, sondern ein Abschluss in einer dualen Berufsausbildung, allen voran im technischen Bereich, vorausgesetzt wird. Darüber hinaus haben die Solarunternehmen Mitteldeutschlands selbst eine Vielzahl an Ausbildungsstellen zu besetzen – und zwar auch in Berufsfeldern, die weit über die Solarwirtschaft hinausgehen. Angeboten werden zum Beispiel Ausbildungen zur Industriekauffrau, zum Elektroniker für Automatisierungstechnik oder zur Fachkraft für Lagerlogistik.

Um junge Menschen für eine spätere Beschäftigung in der Solarbranche – und allgemein im Feld erneuerbarer Energien – zu begeistern, wurde in den Kommunen Mitteldeutschlands eine Reihe von Initiativen umgesetzt. Aus der jüngeren Vergangenheit sind zwei hervorzuheben. In Halle (Saale) fand im September 2022 die zweite MINT-Convention statt. Kinder und Jugendliche wurden zum Experimentieren, Basteln und Nachdenken über Umweltthemen eingeladen. Am Stand des science2public e.V. konnten sich die jungen Besucherinnen und Besucher unter anderem über alternative Energien informieren. Ebenfalls im September dieses Jahres fand im Landkreis Nordsachsen das 4. NawiCamp statt, bei dem sich knapp 50 MINT-interessierte Jugendliche des Landkreises an zwei Tagen über mögliche Arbeitsfelder inspirieren ließen. In Kooperation mit verschiedenen Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft wurde ein buntes Programm zusammengestellt. Die Berufsakademie Sachsen lud zum Experimenten mit Photovoltaik- und Windenergieanlagen ein und die TU Bergakademie Freiberg organisierte einen Workshop zur Frage, wo die Energie für die Mobilität von morgen herkommt.

 

Ausblick: Die Zukunft scheint aussichtsreich

Die Vorzeichen für eine nachhaltige Renaissance der mitteldeutschen Solarwirtschaft stehen gut. Es gibt ein politisches Interesse, „Freiheitsenergien“, wie Christian Lindner erneuerbare Energien nannte, zu fördern und sich damit möglichst schnell von fossilen Energieträgern zu lösen. Hinzu kommt der Wille, sich angesichts globaler Unsicherheiten und Lieferkettenproblemen bei Schlüssel- und Zukunftstechnologien, wozu die Solarbranche zweifellos zählt, etwas unabhängiger zu machen. Ob es gelingt, in Mitteldeutschland eine konkurrenzfähige Solarwirtschaft zu etablieren, hängt auch davon ab, ob genügend junge Menschen für dieses vielfältige Berufsfeld begeistert werden können. Auch hier bestehen berechtigte Hoffnungen – aus zweierlei Gesichtspunkten. Zum einen haben viele Kommunen erkannt, dass es wichtig ist, frühzeitig bei Kindern und Jugendlichen Neugier für Nachhaltigkeitsthemen und die damit verbundenen Berufsfelder zu wecken. Zum anderen machen sich viele junge Menschen Gedanken, wie sie der Klimakrise aktiv entgegentreten können. Diese Entschlossenheit von der Straße in die Berufswelt zu bringen, so lautet die anspruchsvolle Aufgabe.